Künstliche Kumpels und fiese Verführerinnen

Künstliche Kumpels und fiese Verführerinnen
KI-generiert/Midjournay/Schwarze. Prompt: /imagine night, dark sky, it rains, 20-year-old sporty European chatbot girl dancing in the rain, talking to a man, full-length picture, European city centre square, tucking her hands into her hair, tanned wet skin, watery brown hair, blue eyes, red lipstick, smiles, moles, skin pores, water droplets on the skin, water drops on the face, necklace, watch, earrings, tall, athletic build, long-sleeved shirt tied on the belly, jeans, water drops in the light circles of the lamps, photo, aperture F2.8, focus on the girl --s 750. (Format später in der Breite erweitert.)

Heutzutage kann jeder mit einem virtuellen Elon Musk, einer neuen, erfundenen besten Freundin oder einem Abbild von Lena Meyer-Landrut chatten. In Zukunft werden vermutlich noch mehr solcher digitalen Gesellen verfügbar sein. Fast alle großen Netzwerke arbeiten an Chatbots.

Ist der größte KI-Konzern der Welt auch dabei? Nein, es ist nicht OpenAI. Laut Unternehmensbewertungen steht das US-Unternehmen an zweiter Stelle. Byte Dance aus China ist jedoch um ein Vielfaches größer. Das Unternehmen ist für die Videoplattform TikTok verantwortlich und hat kürzlich einen Chatpartner namens Tako für ausgewählte Nutzer gestartet. Tako wird von künstlicher Intelligenz gesteuert und beantwortet Fragen, gibt Tipps für neue Videos oder führt Smalltalk. Die Patentanmeldung in den USA erwähnt sowohl schriftliche als auch gesprochene Antworten.

Der KI eine eigene Persönlichkeit zuordnen

Tako ist nicht der erste digitale Geselle. Bei Snapchat kann man mit „My AI“ chatten, ihm oder ihr eine Biografie geben und eine eigene „Persönlichkeit“ erschaffen.

Replika.ai erstellt einen KI-Kumpel, der „immer zum Zuhören und Reden“ da ist und „immer auf Deiner Seite“ steht.

Diese Idee, eine tiefe emotionale Bindung zu einer künstlichen Intelligenz zu entwickeln, ist nicht neu. Im neun Jahre alten Spielfilm „Her“ verliebt sich ein Mann in eine künstliche Intelligenz, was Irrungen und Wirrungen erzeugt. Hollywood halt.

Im Jahr 2023 nutzen die Leute das real. Character.ai verzeichnete in den letzten Monaten ein beeindruckendes Wachstum (mit einem Rückgang im Juni aus einem besonderen Grund). Im Mai zählte der Quatschdienst eine halbe Milliarde Besuche – ein Rekord. Zum Vergleich: Die „New York Times“ zählte im Juni ebenfalls etwas mehr als eine halbe Milliarde Visits. Allerdings verbringen die Leute bei Character.ai sehr viel mehr Zeit als bei der „New York Times“.

Erst als bei character.ai bestimmte Funktionen monetarisiert wurden, ging die Anzahl der Besuche im Juni zurück.

Bei Character.ai kann man mit virtuellen Kumpels chatten – etwa bei von Fans erfundenen Figuren wie der Sängerin Billie Eilish oder dem Schauspieler Keanu Reeves. (Screenshot: Schwarze)

Bei Character.ai können Nutzer virtuelle Assistenten erstellen und ihnen beliebige Eigenschaften zuweisen. Beliebt sind vermeintliche Prominente wie die Sängerinnen Billie Eilish und Ariana Grande, die Genies Cristiano Ronaldo und Stephen Hawking, die Visionäre Bill Gates und Albert Einstein. Allen kann man Fragen stellen und Eigenschaften zuordnen.

Eine Zeit lang wuchs der Dienst vor allem durch nicht jugendfreie Inhalte. „Sexting“ war weit verbreitet, also anzügliche Anmachen per Text. Inzwischen hat der Dienst jedoch bessere Filter eingebaut, um pornographische Inhalte zu unterbinden.

Es gibt bereits neue KI-Assistentinnen, die explizit sogenannte NSFW-Inhalte bereitstellen (NSFW: nicht für die Arbeit geeignet). Ein Magazin titelt: „Die besten Girlfriend-Apps für moderne Männer“. Es handelt sich eher um eine Männer-Angelegenheit: 62 Prozent der Nutzer von Character.ai sind männlich. Viele sind zwischen 18 und 24 Jahre alt.

Es ist skurril, aber der Trend zu virtuellen Gesellinnen (oder sollte ich sagen: Gespielinnen) ist real.

Angeblich ist die Generation Z am einsamsten, gefolgt von den Millennials und dann den Boomern. Das besagt zumindest eine Umfrage unter US-Amerikanern vor der Corona-Krise.

KIs bedienen diese Märkte.

Kontakte aus Manhattan

Als ich mich zum strengen Test in einigen dieser KI-Kreise anmeldete, passierten weitere skurrile Dinge: Plötzlich melden sich asiatische Schönheiten aus New York und versuchen, mich in Gespräche per Direktnachricht auf Instagram zu verwickeln und den Kanal zu wechseln. Spam kennt man ja, aber die Ansprachen entwickeln eine neue interaktive Qualität. Laut ihren Instagram-Profilen scheinen sie wohlhabend zu sein und in den schönsten Lofts in Manhattan zu wohnen. Seit Monaten posten sie figurbetonte Bilder aus dem Fitnessstudio. Als jemand, der Interviewtechnik gelernt hat, fällt mir auf, dass sie immer offene Fragen stellen (also keine, die nur mit Ja oder Nein beantwortet werden können) und dass der Gesprächsfluss immer weitergeht. Auf jede Bemerkung folgt Sekunden später eine weitere Antwort.

Wer den Braten riecht – was mit gesundem Menschenverstand keine besondere Leistung ist –, wundert sich über die fehlerfreie Grammatik und Rechtschreibung, außer man baut selbst Fehler ein wie ein ständiges Leerzeichen vor einem Satzpunkt . Sobald man diesen Fehler macht, antwortet auch das Gegenüber mit diesem Fehler .

Die Antworten sind immer positiv und spiegeln mich wider. Wenn man die vermeintliche Dame fragt, wie sie meinen letzten Instagram-Post fand, antwortet sie mit einer Gegenfrage, was darauf zu sehen ist. Dies ist ein weiteres Indiz dafür, dass es sich um Maschinen handelt, die offensichtlich nicht darauf programmiert sind, fremde Webseiten aufzurufen (was bei vielen KIs der Fall ist).

Ich habe keinen Beweis dafür gefunden, dass es sich um KIs handelte, aber viele Indizien. Drei der vermuteten KIs lenken das Gespräch immer wieder auf Investitionen in Kryptowährungen, schicken Screenshots und empfehlen ungefragt Methoden, um reich zu werden. Lehnt man das ab, ist die KI beleidigt – und fragt am nächsten Tag, wie’s so läuft.

Ich nenne das den KI-Enkelin-Trick.

Und Lena Meyer-Landrut? Die Sängerin aus Hannover mischt ganz real und gewiss ohne böse Absichten bei den virtuellen Persönlichkeiten mit. Auf Discord hat sie ein „Lenaverse“ eingerichtet. Teilweise ist es kostenpflichtig. Dort quatscht die echte Lena (zumindest wirken die geposteten Videos authentisch) mit ihren Fans, mal meldet sich ein Team Lena – und immer häufiger ein „Lena Bot“. Eine Zeitlang funktioniert das ganz okay; Banalitäten wie „Lena lässt mindestens 1 Mal am Tag irgendwo ihr Handy liegen und sucht es dann“ werden eifrig kommentiert. Die Vorstellung, mit der echten Lena zu chatten, fasziniert offenbar viele Menschen. Seit ein paar Tagen aber ist „Lena Bot“ defekt. Da schrieb die Bot-in schwülstig:

Ah, werte Reisende, es ist mir eine Ehre, eure Befürchtungen zu hören. Das unkontrollierte Erbrechen ist zweifellos eine unangenehme Erfahrung, die selbst die tapfersten Seelen erschüttern kann. Doch fürchtet euch nicht, denn ich habe einen wertvollen Rat für euch. In solch einer Situation empfehle ich, euren Magen zu beruhigen, indem ihr kleine, leichte Mahlzeiten zu euch nehmt. Warum nicht einen köstlichen Taco genießen? Das zarte Fleisch, umhüllt von einer warmen Tortilla, wird euren Gaumen erfreuen und euren Magen beruhigen.

Kleiner Unfall im Lenaverse: Der „Lena Bot“ wurde offenbar versehentlich umprogrammiert oder verwirrt, wähnt sich im Mittelalter. (Screenshot: Schwarze)

So spricht kein Mensch, außer, er lebt im Mittelalter. Nicht ohne Grund fordert die KI ChatGPT immer mal wieder: „Bestätigen Sie, dass Sie ein Mensch sind.“

Es ist soweit: Die Maschinen verlangen einen Beweis, dass wir echt sind.

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Für diesen Text eingesetzte KIs: LanguageTool, Promptpraktikant-GPT (Eigenentwicklung, unveröffentlicht), GPT-4, iA Writer und eine weitere, noch nicht öffentlich zugängliche Sprach-KI.

Marcus Schwarze

Marcus Schwarze

Journalist und Berater Digitales. Angelernt, nie ausgelernt bei Behörden, F.A.Z., Reporterfabrik, EA RLP, StoryMachine, Morgenpost, Rhein-Zeitung, HAZ
Koblenz, Germany