Wie kraftvoll sich der Fitnessclub digitalisiert

Im Fitnessclub haben sie jetzt die Digitalisierung eingeführt. Also nicht einfach nur Touchbildschirme aufgestellt. Es ist alles viel größer, prozessiger, schwerer. Aber digital.


Foto: Arthur Edelman/Unsplash

Foto: Arthur Edelman/Unsplash

Wenn man sich nach einem Jahr in Berlin in Koblenz bei seinem Fitnessclub zurückmeldet, ist vieles anders. Allein die Preisgestaltung. Früher zahlte ich pauschal an die 60 Euro im Monat. Für das Geld erhielt ich Nutzungsmöglichkeiten für

  • diverse Gerätschaften,
  • kühles Sprudelwasser von der Getränkebar,
  • TV-Unterhaltung samt anstöpselbarer Tonspur,
  • einen Spezialparcours mit sekundengenauer computergesteuerter Leistungsmessung und
  • einen Saunabesuch samt Aufguss vom Profi.
  • Und vieles mehr! Eine programmierbare wasserstrahlbasierte gummierte Massagebank ließ sich auch schon früher gegen Aufpreis nutzen. Die freundlichen Menschen am Empfang mussten sie dann ferngesteuert starten.

Jetzt zahle ich im Wochenendtarif 34,95 Euro beziehungsweise für alle Tage der Woche 39,95 Euro pro Monat – für diverse Gerätschaften; ein oder zwei Euro pro Woche für die Nutzung der Getränkebar; 2,99 Euro pro Woche für den Besuch im „Sauna- und Wellnessparadies“; und eine jährliche Verwaltungsgebühr von 29,90 Euro. Hinzu kommt nach Auskunft vom Profi demnächst eine weitere wöchentliche Gebühr für die Nutzung des Spezialparcours mit sekundengenauer computergesteuerter Leistungsmessung. Mit meiner neuen Chipkarte kann ich den Parcours zurzeit noch „so“ nutzen, obwohl er im neuen Mitgliederbereich auf dem schicken Touchbildschirm noch gar nicht als gebucht vermerkt ist. Wöchentlich heißt dabei: nur monatlich kündbar, verstehe.

Die Unterschrift auf dem iPad

In der Summe zahle ich also wieder an die 60 Euro und noch etwas mehr, aber was tut man nicht alles. Unterschrieben wird der Vertrag ganz modern mit dem Zeigefinger auf einem iPad, die Krakelei meines Onboardingprozesses ist schneller als PDF an mich gemailt, als ich den einmalig kostenlosen Kaffee austrinken kann.

Überhaupt, die Bildschirme. Bei der ersten Präsentation des neuen Touchbildschirms im Foyer hielt der wackere Profi vom Club die Karte stets vor den Bildschirm statt vor dem großen eingekreisten X darunter, wischte mit wachsender Verzweiflung nach links und rechts, dass uns beiden schwindelig wurde. Gemeinsam wuppten wir die Herausforderung. Im Loginbereich tauchten dann fünf Euro auf, die auf der Karte als Guthaben gebucht seien, aber ach: Die Getränkebar wusste davon nichts – egal ob man die Karte vors Display hielt oder aufs X legte, das in den Tisch eingelassen ist. Also gab mir der Profi auf seiner Karte ein Wasser aus. Die Sauna hatte ich zu dem Zeitpunkt noch nicht gebucht, „Du kannst da so rein“, sagte mir der Profi.

Eine Woche später war das dann schon nicht mehr der Fall. Das neue Drehkreuz streikte. Ein scharfes LED-Rot verbot mir den Durchgang. Ängstlich suchte ich nach einer Kamera: Ob die mich dabei beobachteten, wenn ich elegant übers Drehkreuz … Aber nein: Im knappen Saunamantel ohne Höschen wollte ich weder moralische noch sonstige Malaisen heraufbeschwören. Also fand ich mich in dieser Montur kurz darauf in der Lobby wieder, suchte dort am Tatschbildschirm den Loginbereich auf, buchte die Sauna. Klar, dass just in diesem Moment die frühere Kollegin auftauchte und ich in Badeschlappen sowie nicht viel darüber erst eine kleine Ausführung in Sachen beruflichem Werdegang und dann eine größere Einführung in den Loginbereich geben durfte.

Tatort Spinde

Die Woche darauf hatten sie wieder etwas Neues. Die Schrankspinde bekamen neue Schließmechanismen. Dunkel erinnerte ich mich: In der Lobby hatte ich an einem Dummy eine Einführung genossen, wie die Chipkarte davorzuhalten ist, um die Tür zu schließen und zu öffnen. Aber ach: Irgendwie schien sich das Prozedere noch nicht bis in die Männerumkleide herumgesprochen zu haben. Dort versperrten rot-weiße Flatterbänder weitläufig den Tatort, komplette Reihen von Spinden waren geblockt. Der Profi leitete mich nach weiter hinten in der Umkleide. Dort waren ein paar wenige Spinde noch nicht umgerüstet. Mit einer zweiten Karte und einem echten Schlüssel ließ sich dort ganz herkömmlich analog das Schloss öffnen und verschließen. So braucht es dann also bis auf Weiteres zwei Karten und einen Schlüssel zum Sporttreiben.

Noch nicht entschlüsselt habe ich die programmierbare wasserstrahlbasierte gummierte Massagebank. Sie wurde jetzt ebenfalls mit einem Chipkartenlesegerät ausgestattet. Ein großes X markiert den Vorhaltebereich für die Chipkarte. Der Moment, hier die Kurzfassung: Meine Karte funktioniert noch nicht, wahrscheinlich muss ich das erst buchen. Oder eine dritte Karte ausstellen lassen?

Jetzt mit Online-Account

Zurück zur Preisgestaltung: Für den ersten Monat wurden mir 104,25 Euro abgebucht. Neugierig geworden, suchte ich den Mitgliederbereich auf der Homepage des Clubs auf. Weil die Funktion „Online-Account einrichten“ stets mit einem Fehler endete, dauerte es leider drei Mails, zwei Screenshots und fünf Tage, bis der Zugang funktionierte. Parallel klärte die „Zentrale Mitgliederverwaltung“ immerhin per Mail über die Zusammensetzung der immerhin dreistelligen Summe auf. An einer Stelle hatte man sich tatsächlich verrechnet, 3,51 Euro wurden mir gutgeschrieben. Ich Dummy hatte aber das 49,90 Euro teure „Startpaket“ mit dem Gesundheitscheck beim Trainer übersehen.

Und die neue Chipkarte. Sowie die Sekunden später eintreffende Mail für die Abgabe meiner Kundenzufriedenheitsbewertung. Natürlich habe ich geantwortet: mit einem Link auf diesen Text und der Aufforderung zum Beitritt – in meinen Mitgliederbereich.

Ich glaube allerdings nicht, dass dies Schule macht.

Marcus Schwarze

Marcus Schwarze

Journalist und Berater Digitales. Angelernt, nie ausgelernt bei Behörden, F.A.Z., Reporterfabrik, EA RLP, StoryMachine, Morgenpost, Rhein-Zeitung, HAZ
Koblenz, Germany