Wolf-Schneider-KI redigiert journalistische Texte

Wolf-Schneider-KI redigiert journalistische Texte
Illustration: Reporterfabrik

Wer für Redaktionen oder PR-Abteilungen arbeitet, kennt das mühsame Schreiben eines guten Textes: Ein Kollege oder eine Kollegin überarbeitet den Beitrag, stellt Fragen zu unklaren Formulierungen und korrigiert Rechtschreibung und Grammatik. Am Ende wird der Text von einer Chefin vom Dienst (CvD) gelesen. In Zukunft könnten diese beiden Rollen wegfallen oder zumindest technische Unterstützung erhalten, denn die künstliche Intelligenz (KI) übernimmt nun das Korrekturlesen.

In meinem Fall ist das seit ein paar Monaten Wolf Schneider. Der im November verstorbene Ausbilder für gute Sprache ist Namensgeber der KI der Reporterfabrik in Berlin. Die Journalistenschule hat sich die Namensrechte gesichert und in einem Team um Cordt Schnibben (ehemals Redakteur beim „Spiegel“) innerhalb der letzten fünf Monate diese künstliche Intelligenz entwickelt. Ich durfte am laufenden Betatest der Maschine teilnehmen.

In den letzten Monaten hat die Wolf-Schneider-KI (WSKI) fast jeden meiner Texte überarbeitet, auch für diesen Newsletter. Ich habe meinen Text in ein Fenster kopiert und die WSKI hat den verbesserten Text im benachbarten Fenster geschrieben. Das ist in Sekunden erledigt. Hier ein Beispiel eines Textes, der nicht von mir stammt, der Pressemitteilung der Reporterfabrik:

Jeder Text lässt sich verbessern, auch die Pressemitteilung der Reporterfabrik. Anschließend ergänzt die Maschine eine Analyse. (Screenshot: Schwarze)

Die Schreibregeln von Schneider sind legendär. Sie verbieten Füllwörter und setzen auf kurze Sätze. Schneider empfiehlt Ein-Silben-Wörter. „Wir sind aus Einsilbern: Hand und Fuß, Kopf und Blut.“ So sagt er es in einem Kurs der Reporterfabrik. Zweisilbige Wörter sind die zweitbeste Wahl. Keine Schachtelsätze, sondern vor allem Hauptsätze. „Eingepferchte Nebensätze sind immer schlecht.“ Der Text sollte laut vorgelesen gut ins Ohr gehen. „Wir schreiben immer für die Ohren.“

Die WSKI hat viele dieser Regeln übernommen. Schon bei den ersten Tests hat die Maschine meine Texte gekürzt und Passiv-Konstruktionen in aktive Sätze umgewandelt.

Ein Paradigmenwechsel, oder?

Für Redaktionen bedeutet die Sprach-KI einen Paradigmenwechsel, oder wie Wolf Schneider sagen würde, einen Schwenk. Sprache wird wieder mehr zum Werkzeug.

In der neuesten Version der KI erhält das Handwerk des Journalismus zusätzliche Unterstützung durch eine ausführliche Textanalyse. Wolf Schneiders Nachfahre gibt Anregungen, was im Text noch ergänzt werden könnte. Bei vielen Sätzen können alternative Formulierungen angezeigt werden, und für jedes Wort können alternative Wörter vorgeschlagen werden. Nachdem die Maschine einen Text überarbeitet hat, kann man außerdem abrufen, welche Wolf-Schneider-Regel dahintersteckt.

Die Wolf-Schneider-KI befindet sich derzeit noch in der Betaphase. Die gemeinnützige Reporterfabrik bietet Test-Usern die Möglichkeit, das Tool kostenlos auszuprobieren. Interessenten können per E-Mail Zugang erhalten, indem sie sich an wski@correctiv.org wenden.

Nach dem Betatest wird die KI voraussichtlich fünf Euro im Monat kosten, wie Schnibben in einem Gespräch angedeutet hat.

Fazit

Mein Urteil über das Werkzeug: Es ist aus dem Alltag des Textens kaum mehr wegzudenken. Zu neunzig Prozent sind die überarbeiteten Sätze besser als der Ursprung. Aber: Nicht bei allen redigierten Dingen gehe ich mit. Da habe ich weiterhin das letzte Wort. Wenn etwa die Maschine zu Beginn des Betatests aus den „Schülerinnen und Schülern“ die „Schüler*innen“ macht, würde vermutlich auch der echte Wolf Schneider widersprechen – und daraus schlicht „Schüler“ machen.

Das widerspricht wiederum meinem Sprachempfinden und im übrigen auch den Regeln, die manche Redaktion sich selbst auferlegt hat. Ich bin gespannt, was die Maschine aus dem vorherigen, kursiv gesetzten Absatz macht. Hier das Ergebnis.

Marcus Schwarze

Marcus Schwarze

Journalist und Berater Digitales. Angelernt, nie ausgelernt bei Behörden, F.A.Z., Reporterfabrik, EA RLP, StoryMachine, Morgenpost, Rhein-Zeitung, HAZ
Koblenz, Germany